Hintergrundinformationen
Im 19. Jahrhundert begann sich die Globalisierung der Wirtschaft und des Handels zu intensivieren, gefördert durch die Idee des Wirtschaftsliberalismus und den Kolonialismus, begünstigt ebenfalls durch die Industrialisierung, durch neue Techniken, durch eine sowohl umfangreichere als auch arbeitsteilige Produktion sowie schnellere Transportmöglichkeiten. Diese Entwicklung zog nicht nur große Auswirkungen auf die Weltwirtschaft nach sich, sie bewirkte unter anderem auch einen städtebaulichen Wandel in den Hafen- und Handelsstädten der Welt.
Deutschland profitierte in besonderem Maße von den Entwicklungen, denn es stieg in nur vier Jahrzehnten, von der Reichsgründung 1871 bis zum Ersten Weltkrieg, zur zweitgrößten Industrienation der Welt nach den USA auf. Gleichzeitig verzehnfachte sich die Beförderungsleistung der deutschen Handelsschifffahrt auf den Weltmeeren. Ein entscheidender Grund für diese Entwicklung war unter anderem die enorme Erhöhung der Transportkapazitäten beziehungsweise die Steigerung der Transportgeschwindigkeit. Der Ausbau der Eisenbahnlinien und der Häfen sowie der Aufschwung im Schiffbau, hier insbesondere der Bau neuer Dampfschiffe, trugen dazu bei.
Als Hafen- und Handelsstadt hatte Hamburg einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung. Dank des vorausschauenden Handelns der Verantwortlichen der Stadt konnte sie nicht nur ihre Vorrangstellung in Deutschland mit weitem Abstand behaupten, sondern entwickelte sich auch zum bedeutendsten Hafen in Kontinentaleuropa. Einen wichtigen Impuls gab die vollständige Eingliederung der Stadt in den Deutschen Zollverein 1888 und die damit verbundene Erweiterung und Modernisierung des Hafens, in deren Rahmen auch die Speicherstadt entstand. Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten rückte Hamburg nun in die Spitzengruppe der Welthäfen auf, sodass schließlich nur noch in London und New York mehr Güter umgeschlagen wurden als an der Norderelbe.
Der Beitritt Hamburgs zum Deutschen Zollverein hatte den Bau der Speicherstadt zur Folge, eine Entwicklung, die nicht nur zum Abbruch der Häuser eines gesamten Stadtteils und der Vertreibung von über 16.000 Menschen führte, sondern auch die in Hamburg tradierte Lebensform, Wohnen, Wirtschaften und Kontor unter einem Dach zu vereinigen, auflöste. Dies zog eine Trennung der drei Bereiche nach sich, die schon mit dem Umzug des Bürgertums in die neuen Villengebiete an der Außenalster um 1850 begonnen hatte und in der Folgezeit zur Schaffung von monofunktionalen Dienstleistungsvierteln führte.
Im Zuge der Industrialisierung und der beginnenden Globalisierung der Wirtschaft und des Handels setzte im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in den Metropolen der Welt die Citybildung ein, erfasste weltweit immer mehr Innenstädte und führte zu einer funktionalen Entmischung sowie zur Verdrängung der Wohnbevölkerung und anderer Nutzer durch den expandierenden Dienstleistungssektor.
Durch verschiedene Ereignisse vollzog sich dieser Prozess in Hamburg besonders schnell und gründlich. Als Katalysatoren wirkten unter anderem der Große Brand von 1842, in dessen Folge die kleinteilige mittelalterliche Struktur der betroffenen Gebiete in der Altstadt den damals modernen Standards rechtwinkliger Straßenblöcke angepasst und dabei die ärmere Wohnbevölkerung weitgehend verdrängt wurde. Weiterhin sorgte die Aufhebung der Torsperre 1860 dafür, dass die Kaufleute, die zuvor in der Altstadt in ihren Bürgerhäusern wohnten und ihren Geschäften nachgingen, nun dauerhaft in die im Grünen gelegenen Vororte ziehen konnten, wo sie teilweise zuvor schon Sommerhäuser besaßen.
Mit dem Bau der Speicherstadt in den 1880er Jahren wurde der Transformationsprozess weg von durchmischter Stadt hin zur modernen City mit monofunktionalen Vierteln in Hamburg dann rigoros umgesetzt. 16.000 Menschen, die zuvor auf den Brookinseln gelebt hatten, mussten dem Bau der Speicherstadt weichen. Gleichzeitig wurden die ersten Kontorhäuser errichtet, was ebenfalls zu einer sukzessiven Verdrängung der Wohnbevölkerung führte. Forciert wurde diese Entwicklung noch, als die Elendsviertel der Innenstadt, die sogenannten Gängeviertel, nach der Cholera-Epidemie 1892 saniert wurden, wobei in der Altstadt weitgehend auf den Bau neuer Wohnungen zugunsten von Kontorhäusern verzichtet wurde. Die Folge war, dass sich die Einwohnerzahl in der Innenstadt von 171.000 (1880) auf 68.600 (1937) verringerte, wovon nur noch 15.500 auf die Altstadt entfielen.
Abgesehen von London war diese Entwicklung in Europa zu diesem Zeitpunkt noch ein nahezu unbekanntes Phänomen, und selbst in den USA wurden seinerzeit nur die zentralen Bereiche von New York und Chicago vom Dienstleistungssektor dominiert. Es wurden zwar auch andernorts immer mehr Bürohäuser errichtet, im Unterschied zu Hamburg gelang es dem tertiären Sektor dort aber nicht, die Wohnbevölkerung großräumig zu verdrängen. Die Innenstädte behielten vielmehr weiterhin ihren Charakter als funktional durchmischte Wohn- und Arbeitsviertel.
Die beiden monofunktionalen, sich funktional ergänzenden Quartiere Speicherstadt und Kontorhausviertel sind daher geeignet, in weltweit einmalig erhaltener Konzentration und Größenordnung die Idealvorstellungen einer modernen, tertiärisierten Stadt mit funktionaler Zonierung sowie die Citybildung Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts zu dokumentieren. Darüber hinaus verfügen beide Quartiere auch einzeln gesehen über herausragende Qualitäten.
Die Hamburger Speicherstadt mit ihren zahlreichen Speicher- und Funktionsbauten, ihrer spezifischen funktionalen, baulichen und städtebaulichen Struktur mit gepflasterten Straßen, Wasserstraßen, Brücken und Eisenbahnanschlüssen ist zwischen 1885 und 1927 in drei Bauabschnitten unter der Leitung des städtischen Oberingenieurs Franz Andreas Meyer als größtes und modernstes Logistikzentrum seiner Zeit entstanden. Es hielt großzügige Lagerflächen bereit, die standardmäßig ausgerüstet waren mit Neuerungen wie elektrischem Licht und hydraulisch angetriebenen Winden. Für Druckwasser und Strom sorgte ein eigenes Kraftwerk. Die Speicher boten durch ihre Konstruktionsweise ein stabiles Raumklima, in dem die empfindlichen Waren ohne zusätzliche Heizung oder Kühlung gelagert werden konnten.
Ein charakteristisches Merkmal der Speicherstadt ist die Skelettbauweise, überwiegend aus vorgefertigten Eisenelementen, aber auch aus Holz und betonummantelten Eisenstützen. Damit wurde eine weitgehende Entlastung der Außenwände von einer statischen Funktion erreicht, die nunmehr in erster Linie als Klimahüllen dienen. Die modularen Strukturen der Fassaden, deren Maße im Sinne der „Hannoverschen Schule“ konsequent aus dem genormten Ziegelformat abgeleitet sind, prägen die Architektur der Speicherstadt. Dennoch entstand kein schematischer und nüchterner Lagerhauskomplex, sondern ein schmuckreiches, vielgestaltiges Ensemble in überwiegend neogotischen Architekturformen von starker stadträumlicher Wirkung – ein Effekt, der durch die exponierte Lage auf einer Inselgruppe am Rand der Innenstadt noch verstärkt wird.
Durch den behutsamen Wiederaufbau konnte trotz der Einwirkungen des letzten Krieges das einheitliche Bild, das die Speicherstadt bis heute prägt, erhalten respektive wieder hergestellt werden. Die Speicherstadt stellt noch heute das größte zusammenhängende, einheitlich geprägte Speicherensemble der Welt dar. Sie zeichnet sich nicht nur durch eine hohe architektonische und städtebauliche Geschlossenheit aus, die aus der einheitlichen Gestaltung mit roten Backsteinfassaden resultiert, sondern auch durch eine bildmächtige Inszenierung, die ihren für die Bauaufgabe ungewöhnlich repräsentativen Charakter unterstreicht. Diese demonstrativ herausgestellte repräsentative Funktion macht die Speicherstadt gleichsam zum architektonischen Aushängeschild des Hamburger Hafens und verleiht ihr, neben ihren Dimensionen, im Vergleich mit den Lagerhauskomplexen anderer Hafenstädte sowohl national als auch international eine Sonderstellung.
Das nördlich des Zollkanals angrenzende, vorwiegend in den 1920er und 1930er Jahren entstandene Kontorhausviertel ist mit seinen überwiegend großmaßstäblichen, teilweise blockfüllenden Gebäuden mit Klinkerfassaden in expressionistischen und sachlichen Formen von einer bis heute erlebbaren großen Homogenität geprägt. Es repräsentiert als erstes reines Büroviertel auf dem europäischen Kontinent eine Verdichtung bisheriger Erfahrungen in der Gestaltung und Konzeption von Kontorhäusern.
Die Gebäude der Kernzone, das Chilehaus, der Meßberghof, der Sprinkenhof und der Mohlenhof, die ein städtebauliches Ensemble bilden, stechen in qualitativer Hinsicht hervor. Besonderer Wert wurde auf flexible Grundrisse gelegt, das heißt, tragende Innenwände sollten möglichst vermieden werden, weshalb die Kontorhäuser in Skelettbauweise errichtet und die Erschließungen und Sanitärräume zu kompakten Kernzonen zusammengefasst wurden. Kennzeichnend für die Hamburger Kontorhaus-Tradition war zum einen eine moderne Erschließung mit Hilfe von Paternostern, zum anderen der hohe Anspruch bei der Gestaltung der Gebäude. Dieser äußert sich sowohl in künstlerischem Bauschmuck und in sorgfältig gestalteten, teilweise sehr aufwändig detaillierten Klinkerfassaden als auch in der repräsentativen Ausstattung der Vestibüle und der Treppenhäuser, bei der bisweilen ein geradezu ostentativer gestalterischer Aufwand betrieben wurde.
Damit weisen diese Bauten hohe konzeptionelle und gestalterische Qualitäten auf, wie sie vergleichbar seinerzeit nur in den USA zu finden waren. Während aber die Bürohausarchitektur dieser Zeit international noch durch den Beaux-Arts-Stil beziehungsweise andere historisierende Formen geprägt wurde, wiesen die Hamburger Bauten bereits moderne Klinkerfassaden in expressionistischen Formen auf, die beim Chilehaus und beim Sprinkenhof eine kaum noch zu überbietende gestalterische und handwerkliche Virtuosität erlangten. Der Meßberghof, der weitgehend ohne Dekorationen und Gliederungen errichtet wurde, sodass schließlich kaum mehr als das flächige Klinkermauerwerk übrig blieb, war, auch international betrachtet, eines der ersten Gebäude, die der Neuen Sachlichkeit den Weg ebneten. Der Mohlenhof mit seinen relativ schlichten, flächigen Fassaden kann sogar schon der Neuen Sachlichkeit zugerechnet werden. Die Bauten der Kernzone des Kontorhausviertels gehören damit auch im internationalen Vergleich zu den bedeutendsten Leistungen der Baugattung Bürohaus der 1920er Jahre und sind zudem auch als Werke bedeutender Architekten von hohem künstlerischem Rang.
Das 1922–1924 von Fritz Höger errichtete Chilehaus, das in keinem Standardwerk über die Architektur des 20. Jahrhunderts fehlt, gilt als eine Ikone des Expressionismus in der Architektur. Diese Bedeutung verdankt es sowohl der charakteristischen Detaillierung seiner Backstein-Fassaden als auch seiner signifikanten Form mit der Überbauung der Straße Fischertwiete und der S-linienförmig geschwungenen Fassade am Meßberg, vor allem aber der an einen Schiffsbug erinnernden Spitze im Osten.
Indem er die Möglichkeiten des Stahlbetonbaus nutzte und diese mit traditionell gemauerten Flächen verband, entwickelte Höger mit dem Chilehaus zudem einen modernen, richtungweisenden Baukörper. Mit einer kaum zu überbietenden gestalterischen und handwerklichen Virtuosität schuf er mit dem Material Backstein eine moderne Bürohausarchitektur, wie sie auch international gesehen ohne Vorbilder war.
Höger nutzte dabei sowohl die starke Spiegel- und Reflexwirkung der unregelmäßig gebrannten Klinker als auch den durch die Innenraumgestaltung bedingten kleinachsigen Pfeilerrhythmus für die künstlerische Gestaltung der Fassaden. Im Inneren erlaubte die Konstruktion die für ein modernes Miet-Kontorhaus unverzichtbare flexible Grundrisseinteilung, die an die unterschiedlichen Nutzer angepasst werden konnte. Die enge Reihung der Pfeiler ergibt in der Schrägansicht eine ruhige, fensterlos erscheinende Wandfläche, die die Monumentalität des Baues verstärkt. Die im 45°-Winkel aus der Fassade hervortretenden Ziegelpfeiler sind durch Drehung jeder 7. Backsteinschicht in sich rhythmisiert, sodass sich in der nahen Schrägsicht auf die Fassade ein diagonales Muster auf der von den Pfeilern gebildeten Wand ergibt.
Zusätzlich zu seiner kunstvollen Wandgestaltung ist der Bau mit baukeramischem Fassadenschmuck des Bildhauers Richard Kuöhl versehen, der zudem auch die Terrakotta-Ausstattung der repräsentativen Eingangsbereiche und Treppenhäuser schuf.