Off-Räume – Orte der Vernetzung und alternativer Ideenpool

(Gängeviertel / ThisIsJulia Photography)

Hamburg ist in erster Linie bekannt für seine gut florierende Wirtschaft, gut besuchte Musicals und hochkulturelle Einrichtungen wie das Thalia Theater, die Staatsoper oder die Deichtorhallen. Doch neben dem Hochglanz-Hamburg entsteht in den Offräumen der Stadt bunte, alternative und aufmüpfige Kunst und Kultur – manchmal sogar mit Unterstützung der Stadt.

Auf langen Fluren hängen bunte Gebilde aus Pappmaché, Gemälde und Fotografien. Relikte aus mittlerweile fünf Jahren kreativer Nutzung der Viktoria-Kaserne in Altona. Hinter der düsteren Rotklinkerfassade der ehemaligen Infanteriekaserne aus dem 19. Jahrhundert werkeln die Künstler jedoch nicht im stillen Kämmerlein. Regelmäßig veranstalten sie hier im Frappant öffentlich zugängliche Kunstausstellungen, Partys, Konzerte, Filmvorführungen, Kunstworkshops (Fraplab) und Flohmärkte.

Frappant: von der Kaserne zum Kulturzentrum

2010 zogen rund 140 Künstler vom Verein Frappant in der Großen Bergstraße in die wilhelminische Trutzburg ein, nachdem ihr vorheriges Domizil, ein verlassenes Karstadtgebäude, dem Bau einer Ikea-Filiale weichen musste. Was zunächst als Übergangslösung gedacht war, wurde jetzt eine neue Heimat. Mit Sekt und Suppe feierten im Februar diesen Jahres Mitglieder des Frappants und der Initiative Lux & Konsorten, die sich für günstigen Gewerberaum einsetzt, den Verkauf der Kaserne von der Stadt an die Fux eG. Nach langem Hin und Her machte die Stadt der extra für diesen Zweck gegründeten Genossenschaft ein gutes Angebot.

Offkulturszene: tief verwurzelt in der Stadt

Das Frappant ist in Hamburg zwar ein einzigartiger, aber kein einmaliger Ort. Auch in der Hafenstraße auf St. Pauli, der roten Flora in der Schanze, im Frappant in Altona, im Gängeviertel in der Neustadt und am Oberhafen hinter der Hafencity florieren Orte der kulturellen Vernetzung und auch des Widerstands gegen das Establishment. Dennoch entstehen dort Impulse und Strömungen, die ihren Weg mitunter bis in die etablierten Hamburger Kulturinstitutionen finden. Die sozialkritische Kunst beeinflusst den Spielplan am Thalia Theater, am Schauspielhaus und auf Kampnagel. Auch die Kunsthalle kooperiert immer wieder mit alternativen Kulturschaffenden. In Hamburg operieren Nischen nicht komplett abgeschottet vom Hochkulturbetrieb, sondern alles durchmischt sich.

Noch in den 80er Jahren kam es bei der Besetzung der Hafenstraßenhäuser, wo direkt an der Elbe ein Geschäftsviertel mit Bürotürmen entstehen sollte, zu blutigen Häuserkämpfen. Daraus hat die Stadt gelernt – und lässt sich mittlerweile nicht nur auf bestimmte Raumforderungen ein, sondern unterstützt sie sogar aktiv. Das zeigt auch die Geschichte der friedlichen Raumnahme des Gängeviertels.

(ThisIsJulia Photography)

Gängeviertel: ein gallisches Dorf in Hamburg

Mitten in der geschäftigen Neustadt, zwischen Hochhäusern aus Glas und Beton, betritt man durch einen Torbogen eine andere Welt: das Gängeviertel. Seit fast sechs Jahren tobt nun schon das kulturelle Leben in den zwölf Gebäuden zwischen Valentinskamp, Caffamacherreihe und der Speckstraße. Von den Wänden bröckelt der Putz, an allen Ecken stehen große Installationen. Herzstück des Viertels ist die Fabrik, in der ganzjährig Konzerte, Ausstellungen, Performances und Lesungen und stadt- sowie gesellschaftspolitische Diskussionen stattfinden. In den Galerien Speckstraße und im Raum linksrechts stellen unterschiedliche Künstler aus. In der Jupibar im Jupihaus zahlt jeder für seine Getränke so viel, wie er selbst für angemessen hält.

Eine Künstler- und Aktivistengruppe hat das Viertel im Sommer 2009 zum gallischen Dorf erklärt. Mit einer Party leisteten sie friedlichen Widerstand gegen die Visionen eines holländischen Investors, der hier noch einen weiteren Bürokomplex errichten wollte. Das Hoffest mit kultureller Bespielung war der Auftakt der Besetzung des einstigen Arbeiterquartiers, mit dem Ziel, das Areal zu restaurieren und selbst zu verwalten. Der Plan: Künstler sollen hier günstig leben und arbeiten können.

Die Aktion fand in der Bevölkerung breiten Rückhalt und vier Monate nach der friedlichen Raumnahme kaufte die Stadt die Gebäude vom holländischen Investor zurück. Mittlerweile werden die Häuser von der Steg (Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH) und mit Mitteln der Hamburgischen Investitions- und Förderbank (IFB) saniert. Aber auch während der Renovierungsarbeiten im Viertel wird das kulturelle Leben dort weitergehen.

Oberhafen: viel Raum für alternative Ideen

Auch am Oberhafen zwischen alten Lagerhallen, stillgelegten Gleisen und holprigem Kopfsteinpflaster florieren seit 2012 alternative Ideen. Spätestens seit auch ein Teil des Gängeviertels während der Umbauarbeiten in der Neustadt in das Ausweichquartier der Alten Bahnmeisterei einzog. Inzwischen sind die Lattenzäune bunt angemalt und in den Bäumen hängt allerlei Klimbim. Das Island im Fruchthof am nordwestlichen Rand des Areals fungiert unter anderem als Mietlocation und Büro des Hamburger Kreativstudios Here We Go. Im Hallenstrang 3 betreiben Jens Gottschau und Petra Sommer die Hanseatische Materialverwaltung – ein Auffanglager für Bühnenbilder und Requisiten, die nach Film- und Theater-Produktionen keine Verwendung mehr finden und die Schulen und Künstler für einen kleine Obolus ausleihen können. Von hier aus ist es auch nicht weit ins Moloch: In diesem Bretterverschlag werden im Sommer unter freiem Himmel wilde Partys gefeiert.

Eigentümer des Areals rund um den ehemaligen Güterbahnhof mit seinen etwa 6.000 Quadratmetern Hallenfläche ist die Stadt Hamburg. Auf den ersten Blick ist das Oberhafenquartier kaum zu unterscheiden von Orten wie dem Frappant oder dem Gängeviertel. Die Idee der kreativwirtschaftlichen Nutzung der alten Hallenflächen fußt aber diesmal nicht auf dem Engagement alternativer Künstler, sondern stammt von der Stadt Hamburg. Verwaltet wird das Areal von der Hamburger Kreativgesellschaft und der HafenCity GmbH. Zwar soll das nahe an Hauptbahnhof und Innenstadt gelegene Quartier auch zur Belebung der nahen Hafencity beitragen. Aber es zeigt auch, dass die Stadt erkannt hat, wie lebenswert eine lebendige Kulturszene eine Metropole wie Hamburg macht.

(Oberhafenquartier / DoubleVision - doublevision.me)